Der Mann, der Atomkerne zu Spionen machte

  • D-CHAB
  • LAC
  • LPC
  • IPW
  • LOC
  • Highlights
  • ICB

Beim Tanzen oder Autofahren hat man ihm stets technische Unbegabtheit attestiert. Im Labor aber war Richard R. Ernst der Technik seiner Zeit immer einen Schritt voraus. Mit seiner bahnbrechenden Forschung zur Kernmagnetresonanz hat der Nobelpreisträger für Chemie die Diagnostik in der Medizin revolutioniert und ist dafür einen steinigen Weg gegangen. Nun hat er seine Autobiographie veröffentlicht, um andere zu inspirieren.

von Julia Ecker

Nur wenigen ist das Glück vergönnt, auf einem Flug vom Piloten ins Cockpit eingeladen zu werden. Richard R. Ernst hat dieses Glück 1991 und traut seinen Ohren kaum, als er zwischen den Piloten sitzend einer Stimme am Telefon lauscht, die ihn gerade zum Nobelpreisträger für Chemie erklärt.

Richard Ernst im Cockpit
Richard Ernst erfährt im Cockpit, dass er den Nobelpreis erhält (Foto: Privatarchiv Richard Ernst)

Mit der Schilderung dieses Moments beginnt Richard R. Ernst seine kürzlich erschienene Autobiographie. Es ist das Portrait eines erfolgreichen, aber auch selbstkritischen, rastlosen Wissenschaftlers, der sein ganzes Leben in den Dienst der Forschung stellte, samt allen Höhen und Tiefen. Seinen Humor aber hat er dabei nie verloren, scheint es. Mit Augenzwinkern erzählt der 1933 geborene Wintherturer von seiner schwierigen Kindheit und dem schicksalshaften Fund einer alten Chemikalienkiste auf dem Dachboden – nichtahnend, dass zur gleichen Zeit der Schweizer Physiker Felix Bloch die Grundlage für jenes Fach legte, welches später sein Spezialgebiet werden sollte.  

Ernst berichtet von der Gymnasialzeit, an die er sich – der Sprachenfächer wegen – nur als Zeit „seelischer und intellektueller Qual“ erinnert, und von den chemischen Praktika an der ETH, die ihm regelmässig „eklige Geruchswolken“ bescherten und ihn im Zug nach Hause zum „Damenschreck wider Willen“ machten. Dabei sei es schon ohne Geruch eine „generalstabsmässigen Übung“ für ihn gewesen, Mädchen zum Tanz einzuladen, vom Tanzen an sich ganz zu schweigen – nicht selten habe er, versteckt auf der Toilette, die notierten Schritte nachlesen müssen. Ähnlich technische Unbegabtheit habe man ihm auch beim Autofahren attestiert – ihm, der an der ETH täglich technische Probleme löste.

Richard Ernst and doctorand Thomas Baumann
Richard Ernst & sein Doktorand Thomas Baumann im Labor (Foto: Privatarchiv Richard Ernst)

Kernspinresonanz als Retter im „Haifischbecken“

Karrieremässig lief es gut für den schüchternen Studenten. Schnell war ihm jedoch klar, dass er „besser und anders sein muss als die anderen“, um im akademischen „Haifischbecken“ überleben zu können. Daher wählte Ernst eines der schwierigsten Nischenthemen in dieser Zeit: die Kernspinresonanz (NMR). Dabei werden Atomkerne, meist Wasserstoffkerne, einem Magnetfeld ausgesetzt und durch Radiofrequenzen angeregt. Die Kerne „antworten“ darauf mit einer Resonanzfrequenz. Wie „Spione“, so Ernst, würden die „magnetischen Kerne auf die Art Informationen über das Molekül preisgeben, in das sie eingebunden sind“ – eine Methode, „von der damals nicht absehbar war, dass sie künftig zur Strukturaufklärung chemischer Substanzen dienen und die Bildgebung in der Medizin revolutionieren würde.“

Knapp 30 Jahre lang wendete Ernst seine gesamte Energie und Zeit dafür auf, um die Arbeit dieser molekularen „Spione“ zu verbessern: Er verminderte das Signalrauschen, erhöhte den Output an Information und brachte die Methode schliesslich in der Bildgebung zur Anwendung. Heute steht in fast jeder Klinik ein Magnetresonanzapparat für Tomographien. Für sein Werk hat Ernst den Nobelpreis erhalten – zweifelsohne das Highlight seiner Karriere. Bezahlt hat er dafür mit der Entsagung seiner persönlichen Bedürfnisse, mit der Vernachlässigung seiner Frau und Kinder, einem Nervenzusammenbruch und einer enormen Last auf den Schultern: beruflicher Stress, Druck und das Gefühl, den Preis zu Unrecht ohne den Schweizer Chemiker Kurt Wüthrich erhalten zu haben, der massgeblich am Erfolg der Methode beteiligt war (Wüthrich erhielt ihn erst 2002).

Richard Ernst revieves the Nobel Prize
Richard Ernst und König Carl Gustaf von Schweden bei der Nobelpreisverleihung (Foto: Privatarchiv Richard Ernst)

Heute ist Ernst überzeugt, dass auch Wissenschaftler mindestens zwei Standbeine brauchen, um voranzukommen und den nötigen Ausgleich zu finden. Sein zweites besteht in der Sammel- und Restaurationsleidenschaft für tibetische Rollbilder, worüber er ebenfalls publizierte. Interdisziplinarität sei ein Muss, findet er, aber leider erschaffe man in den Ausbildungsstätten stattdessen oft nur „gut geschmierte Zahnrädchen im Räderwerk der Gesellschaft.“ Man sei als Forschender allerdings kein „Luxuspflänzchen“, das nur dem „Vergnügen der Gesellschaft“ dient – es brauche kritische Geister in der Wissenschaft, bekennt Ernst freimütig, und zwar solche die auch in der Lage und Willens seien, die Öffentlichkeit an ihrer Forschung teilhaben zu lassen. Letzten Endes soll sein Buch aber „keine Moralpredigt und auch kein Lehrbuch über die Kernmagnetresonanz sein“, sondern „schlicht ein Buch über mein eigenes Leben“ und im besten Fall inspirierend für „andere Menschen auf ihrem Weg zur Selbsterkenntnis.“

Thankga
Kalachakra Mandala als Tibetisches Rollbild (Foto: Sotheby's Inc. / Richard Ernst)

Weiterführende Information:

Ernst, R. Richard (2020): Richard R. Ernst. Nobelpreisträger aus Winthertur. Autobiographie. Hier und Jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte GmbH: Baden, Schweiz

externe SeiteVideo Trailer zu Richard Ernst und seiner Autobiographie

externe SeiteZur Homepage von Richard Ernst

Zum ETH Quiz: Aus dem Leben eines Chemie-Nobelpreisträgers

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert