Das Schweizer Herz der nachhaltigen Chemie

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Dünger, Arzneien oder Brennstoffe haben eines gemeinsam: Sie werden meist über fossile Rohstoffe und geeignete Katalysatoren (reaktionstreibende Stoffe) hergestellt. Will man künftig CO2-neutral sein, braucht es neue Technologien und Katalysatoren für nachhaltige Rohstoffe. Das ETH-assoziierte NCCR Catalysis möchte als weltweit erstes Center dieser Art die Produktion von Chemikalien und Materialien revolutionieren, indem es durch interdisziplinäre Kollaboration schafft, was allein nicht gelingt.

von Julia Ecker

Sonne, Wasser und Luft. In Zukunft könnten dies die einzig notwendigen Rohstoffe sein, um unter Einsatz von effizienten Katalysatoren Treibstoffe und Chemikalien zu erzeugen, z.B. Ammonium: Dünger für Kulturpflanzen, produziert am Feld, weltweit einsetzbar und nachhaltig vom Rohstoff bis zum Produkt, wie Javier Pérez-Ramírez – Professor am ICB – schwungvoll an seiner weissen Bürowand skizziert. Doch die Gegenwart sieht anders aus: „Derzeit wird Ammonium noch tonnenweise nach dem Haber-Bosch Verfahren hergestellt, aus Erdgas und in riesigen Fabriken unter enormem Energieverbrauch.“ Pérez-Ramírez deutet auf die Reaktionsgleichung unter den Skizzen. Das Produkt sei zwar bei beiden Varianten Ammonium – entscheidend aber für eine klimaneutrale Zukunft sei der nachhaltige Weg dorthin. Aus dem Grund hat Pérez-Ramírez das National Center of Competence in Research (NCCR) Catalysis initiiert. Dessen Aufgabe wird es sein, Technologien für eine nachhaltige chemische Industrie zu entwickeln, die nicht mehr auf fossile Ressourcen angewiesen ist und keinen Abfall produziert.

Die „fossilen“ Wurzeln der Petrochemie

Das konkrete Beispiel der Ammoniumproduktion verdeutlicht ein allgemeines Problem. Man kann sich die chemische Industrie als Baum vorstellen: Erdöl und Erdgas bilden bis dato die Wurzeln bzw. den Stamm für viele Bausteine, durch deren Umwandlung wiederum ein ganzes Geäst aus Produkten entsteht, welche wir täglich nutzen. „Zum Beispiel Brennstoffe“, erläutert Pérez-Ramírez mit Blick auf die museale kanadische Zapfsäule in seinem Büro, „aber auch Medikamente, Dünger, Kleidung, Spielzeug, Möbel oder Baustoffe. Die Schweizer Chemieindustrie stellt über 300.000 chemische Produkte her, von denen etwa 95% auf fossile Rohstoffe angewiesen sind." Zudem falle bei der Herstellung der dafür nötigen Chemikalien oft mehr Abfallmenge als Produktmenge an und effiziente Wege für das Recycling der Produkte fehlen nach wie vor. „Dabei wächst die Gesellschaft und bedarf ständig mehr Konsumartikel und Energie. Das hat negative Auswirkungen auf die Umwelt, wie wir auch am Klimawandel sehen."

Holistische Lösungen für ein komplexes Problem

Um den chemischen Produktionsprozess vom Ausgangsstoff zum Endprodukt „grün“ zu gestalten, braucht es neben erneuerbaren Rohstoffen und Energien auch neue Katalysatoren – Substanzen, die die nötigen chemischen Umwandlungen der Rohstoffe in die Folgeprodukte beschleunigen können. Doch das ist leichter gesagt als getan: „Für fossile Rohstoffe ist die Produktionskette samt Katalysatoren gut etabliert und profitabel“, erklärt Pérez-Ramírez. Eine Änderung würde von der Industrie erst akzeptiert, wenn eine Alternative mindestens ebenso gut funktioniert. Erneuerbare Rohstoffe wie CO2, H2O und N2 sind chemisch gesehen aber extrem inert, d.h. sie lassen sich nur schwer in andere Produkte umwandeln. Effiziente Katalysatoren zu finden, die hier als „Motor“ die Reaktionen antreiben können und zwar so, dass der Produktionsprozess im industriellen Massstab möglich und ökonomisch rentabel bleibt, ist schwierig. Zudem dürften nur erneuerbare Energien dabei verwendet werden.

Sustainable Chemistry
Um den chemischen Produktionsprozess vom Ausgangsstoff zum Endprodukt „grün“ zu gestalten, braucht es neben erneuerbaren Rohstoffen und Energien auch neue Katalysatoren (Foto: iStock). 

„Viele Forschende haben bereits Lösungen gesucht, aber die meisten waren nicht erfolgreich“, weiss Pérez-Ramírez. Das Problem sei zu komplex für einzelne Forschungsgruppen. Um die Petrochemie langfristig durch eine nachhaltige Chemie zu ersetzen, müssen verschiedene Disziplinen eng zusammenarbeiten – darauf basiert das Konzept von NCCR Catalysis.

NCCR Catalysis – Nachhaltigkeit durch Netzwerk

„Die Zusammenführung der Disziplinen war allerdings nicht leicht“, erinnert sich Pérez-Ramírez. 2016 hätten er und zwei Kollegen – Prof. Christophe Copéret von der ETH Zurich und Prof. Cristina Nevado von der Universität Zürich – die Idee zum ersten Mal diskutiert und festgestellt, dass es unter den ChemikerInnen und Hochschulen der Schweiz an Einheit und Austausch fehlt, um die Probleme der Zukunft anzupacken. „Es brauchte einen integrativen Ansatz“, sagt Pérez-Ramírez. „ETH und EPFL sowie andere Universitäten und Institute mussten näher zusammenrücken.“ Auch in der Führung von NCCR Catalysis sind mit Prof. Jérôme Waser (EPFL) als Co-Direktor neben Pérez-Ramírez als Direktor nun beide technische Hochschulen der Schweiz vereint.

Zurzeit umfasst das Zentrum, mit Sitz am Departement für Chemie und Angewandte Biowissenschaften am Hönggerberg, 29 Kernmitglieder und rund 140 Forschende aus den beiden eidgenössischen Schulen, 3 kantonalen Universitäten, 2 Fachhochschulen und 1 privaten Institution. Die Zahl wird in naher Zukunft noch auf über 200 Mitglieder ansteigen. Integriert sind fast alle Zweige der Chemie (organisch, anorganisch, physikalisch, biologisch und theoretisch), der Chemie- und Verfahrenstechnik, der Materialwissenschaft und der Informatik. Ihre jeweiligen Beiträge zum Center sind einem externe Seite5 Punkte Programm zugeordnet.

NCCR Catalysis
Die Forschung im Rahmen von NCCR Catalysis wird 5 Work Packages zugeordnet sein (WP). Das D-CHAB ist mit folgenden Gruppen involviert (hier repräsentiert durch die Gruppenleader): Christophe Copéret (LAC), Gonzalo Guillén-Gosálbez (ICB), Erick Carreira (LOC), Peter Chen (LOC), Andrew DeMello (ICB), Gunnar Jeschke (LCP), Maksym Kovalenko (LAC), Markus Reiher (LPC), Wendelin J. Stark (ICB), Javier Pérez-Ramírez (ICB) (Visualisierung: NCCR Catalysis).

Besonders herausfordernd werden die Punkte Digitalisierung und Implementierung. „Jede Gruppe sammelt, organisiert und erhebt Daten anders. Das bedeutet, dass wir das volle Potenzial der Daten nicht nutzen können. Deshalb müssen bestimmte Standardformate definiert werden, um den Austausch und die Nutzung der Daten zu erleichtern. Eine Mammutaufgabe“, räumt Pérez-Ramírez ein, „aber nötig.“ Schliesslich sollen sich die Ergebnisse von NCCR Catalysis auch in der Industrie implementieren lassen: „Katalyse ist ein Kind der Industrie, sie lebt durch ihre Anwendung.“  

Mehr als ein Forschungszentrum

Zusätzlich wolle man auch über Forschung und Anwendung hinaus neue Massstäbe setzen. “Ein Kernanliegen von NCCR Catalysis ist es, die besten Formen der Aus- und Weiterbildung anzubieten. Wir wollen junge Forschende mit geeigneten Werkzeugen ausstatten, um gesellschaftliche Herausforderungen zu meistern", sagt Programmberaterin Sharon Mitchell. "Wir freuen uns, Menschen mit den unterschiedlichsten persönlichen, schulischen und beruflichen Hintergründen zusammenzubringen, damit sie das volle Potenzial ihrer Talente und Vielfalt ausschöpfen", ergänzt Programmkoordinatorin Marie Francine Lagadec. NCCR Catalysis wolle einen offenen Dialog mit Wissenschaft, Industrie und Gesellschaft führen, und hier eine Kultur der Zusammenarbeit etablieren. Diese solle dazu beitragen, Forschungsergebnisse in wettbewerbsfähige Technologien mit spürbarem Nutzen für die Gesellschaft zu verwandeln.

Diversity NCCR Catalysis_(c) ETH Zürich
NCCR Catalysis möchte Menschen mit den unterschiedlichsten persönlichen, schulischen und beruflichen Hintergründen zusammenzubringen und das grosse Potenzial ihrer Vielfalt nutzen (Foto: ETH Zürich).

Finanziell gestemmt wird das Projekt hauptsächlich durch den Schweizer Nationalfonds (SNF). Doch auch vonseiten der Hochschulen ist die Unterstützung gross: "Die Entwicklung neuer Katalysatoren ist entscheidend für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung. Das Departement Chemie und Angewandte Biowissenschaften ist stolz darauf, dass es die Möglichkeit erhalten hat, diese universitätsübergreifenden Bemühungen durch mehrere seiner Mitglieder anzuführen“, freut sich Departementsleiter Prof. Karl-Heinz Altmann. Die Industrie hat ebenfalls bereits beim Projektantrag ihren Zuspruch bekundet.  

"Wir bauen derzeit Strukturen auf, um einen reibungslosen Betrieb zu gewährleisten, und entwickeln parallel dazu erste Fahrpläne für die oben genannten Bereiche. Als Leiter des Zentrums wird es auch meine Aufgabe sein, NCCR Catalysis bekannt zu machen, und die Öffentlichkeit dafür zu sensibilisieren, warum nachhaltige Chemie kein Luxus ist, sondern dringend notwendig“, betont Javier Pérez-Ramírez. Das Center solle künftig das Herz der nachhaltigen Chemie in der Schweiz sein und seine Lösungen international zur Verfügung stellen. Dann könnten eines Tages auch Konzepte wie das nachhaltig gedüngte Feld von der Skizze zur „grünen“ Wirklichkeit werden.

NCCR Catalysis
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