Chemical Landmark: Die Entwicklung der NMR

In der Wissenschaft gilt besser gemeinsam als einsam und bisweilen führen solche Kooperationen zu einer wahren Revolution. So geschehen ist das in den 1970er Jahren, als das Institut für Physikalische Chemie der ETH Zürich zusammen mit der Firma Bruker eine neue Ära der Kernresonanzspektroskopie einläutete und damit die Möglichkeiten für chemische Analysen in den Material- und Lebenswissenschaften erheblich erweiterte. Nun hat SCNAT beide Orte als Chemical Landmark ausgezeichnet. Eine Zeitreise.

von Julia Ecker
(ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv

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Vergrösserte Ansicht: Chemical Landmark Plakette

Wer demnächst an der Universitätsstrasse 22 in Zürich vorbeifährt oder bei Bruker in der Industriestrasse 26 in Fällanden, dem wird eine Plakette an den Wänden auffallen. Die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT) hat kürzlich beide Orte mit der Auszeichnung Chemical Landmark geehrt. Es handelt sich um eine kleine Tafel, die Grosses kennzeichnet, in dem Fall wissenschaftlich und buchstäblich. Wie gross wird deutlich, wenn man etwa mit einem Belastungsbruch im surrenden Inneren eines MRT-Geräts liegt oder aber wenn man den 8-tonnen-schweren 1,2 GHz-Magneten in der Halle des D-CHAB am Hönggerberg bestaunt, mit dem man so tief in molekulare Welten schauen kann wie mit keinem Magneten dieser Art zuvor.

Die Kernspinresonanzspektroskopie – engl. nuclear magnetic resonance spectroscopy (NMR) – die beidem zugrunde liegt, ist heute als Analysemethode für die Chemie, die Materialwissenschaft, Biologie und Medizin unersetzlich. Dank dieser Methode lassen sich chemische Strukturen, Eigenschaften und Reaktionen von Atomen, Molekülen, Flüssigkeiten und festen Körpern untersuchen, und zwar ohne, dass sie Schaden nehmen.

NMR ist im Gegensatz zu anderen Methoden sehr schonend. Dabei wird eine Probe in ein starkes Magnetfeld eingebracht und Radiowellen ausgesetzt. Die Atomkerne der Moleküle in der Probe werden durch das Magnetfeld ausgerichtet und durch die Radiowellen angeregt. Sie absorbieren die Energie und geben sie bei einer bestimmten Frequenz (Resonanzfrequenz) wieder ab. Der Nobelpreisträger Richard Ernst verglich dies einst mit Klavierspiel: Schlägt man die Saiten an, beginnen diese mit der eigenen Resonanzfrequenz zu schwingen und erzeugen Töne, die wir zuordnen könne. Im Falle der NMR-Methode entsteht durch die abgegebene Energie zwar kein Ton, aber ein elektrisches Signal, welches sich schliesslich in einem sogenannten NMR-Spektrum widerspiegelt. Die dort dargestellten Wellen bilden die Resonanzfrequenzen der Atomkerne ab und erlauben es, die Molekülstruktur zu ermitteln. Die Probe selbst bleibt dabei unbeschadet.  

Sample head for NMR spectroscopy, constructed by Richard Ernst
Pobenkopf für NMR Spektroskopie aus der Chemischen und Pharmakogostischen Sammlung, konstruiert von Richard Ernst. 

Fortschritt durch «Katzenmusik»

Als Richard Ernst 1955 seine Doktorarbeit an der ETH Zürich machte, war man von klaren NMR-Ergebnissen noch weit entfernt. Zwar war man an der ETH bereits dabei, gemeinsam mit der Firma Trüb, Täuber und Co AG sowie auch unabhängig von der Industrie erste leistungsfähige NMR-Spektrometer zu entwickeln. Die Erkenntnisse zur NMR und die nötige Technik waren aber immer noch relativ jung und unausgegoren. In stundenlanger Arbeit tastete man damals Resonanzfrequenzen ab, schlug sozusagen Ton um Ton beim Klavier an, um bei dem Vergleich zu bleiben. Die Resultate waren trotzdem nicht zufriedenstellend: Die Magnetfelder waren zu schwach und entsprechend schwach waren die Signale, die die Atomkerne zurücksandten, weshalb sie vom Rauschen anderer elektromagnetischer Signale ständig überlagert wurden. Ergo: kein klares Ergebnis.

Während seines Postdoktorats bei Varian in Kalifornien, dem damals führenden NMR-Spektrometer-Hersteller, versuchte Richard Ernst schliesslich einen brachialen Ansatz und drückte alle Klaviertasten auf einmal – «Katzenmusik», wie er in seiner Biografie ironisch bemerkte. In NMR-Sprache übersetzt bedeutet dies: Er beschoss die Probe nicht mit einzelnen Radiowellen, sondern mit einem Breitbandpuls. Auf einen Schlag wurden damit alle Kerne angeregt, was das Experiment auf Millisekunden verkürzte. Das entstehende Chaos an Signalen brachte Ernst schliesslich mit der sogenannten Fourier Transformation in Ordnung – einer mathematischen Operation, die aus dem diffusen Signalwald ein scharfes, interpretierbares Frequenzspektrum machte. Die stetigen Fortschritte in der Technik leisteten dazu ihr übriges und die Methode setzte sich durch, auch in der Schweiz. In Zürich funkte anfangs nur die Tram neben dem CHN-Gebäude dazwischen. Die störte das Magnetfeld der NMR-Geräte, sodass verlässliche Messungen nur zwischen halb eins und vier Uhr nachts zu bekommen waren, wie Ernst – damals erst vor kurzem an die ETH zurückgekehrt – in einem Brief klagte.  

CHN Building ETH Zurich
CHN Buildung of ETH Zurich, former seat of the Institute of Physical Chemistry of ETh Zurich.  ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Unbekannt / Ans_00426 / CC BY-SA 4.0

Fruchtbare Kooperation

Varian hatte damals zwar Ernsts Erfindung patentiert, dessen Bedeutung aber nicht erkannt. So kam es, dass das entsprechende Spektrometer am Ende eine Deutsch-Schweizerische Firma namens Bruker aus Fällanden baute. Bruker setzte neben der Fourier-Methode auch supraleitende Magnete ein, die deutlich höhere und stabilere Magnetfelder erzeugten.

1976 wandte sich Ernst zusammen mit Kurt Wüthrich der mehrdimensionalen Spektroskopie für Biomoleküle zu. Aus Platzmangel arbeiteten die beiden Tür an Tür in Bürocontainern auf dem Dach des CHN-Gebäudes. Mit einer Mischung aus 2D-NMR-Spektroskopie und Fourier-Transformation schafften sie es schliesslich neben der chemischen Zusammensetzung von Molekülen auch den Abstand der einzelnen Atome zueinander und ihre Wechselwirkung zu erfassen. So liess sich nun auch die Struktur von komplexen Molekülen wie Proteinen analysieren. Die Methode ist bis heute die Basis aller MRT-Methoden, die so mancher aus dem Krankenhaus kennt.  

Richard Ernst (1991) und Kurt Wüthrich (2002) erhielten für ihre Beiträge jeweils den Nobelpreis. Ihre Publikationen und Patente, aber vor allem auch die fruchtbare Zusammenarbeit mit Bruker bildeten den Grundstein für die weitere Entwicklung der NMR-Methode und sorgten dafür, dass die Erkenntnisse in die Industrie übertragen werden konnten. Auch daran sollen die Chemical-Landmark-Plaketten an den Gebäuden in der Universitätsstrasse 22 und in Fällanden erinnern.

Die letzte Perle des Fortschritts im Bereich NMR weilt im Übrigen auch schon in den Hallen des ETH-Gebäudes HCI, nämlich in Form eines Bruker’schen 1,2 GHz-Magneten mit 28 T. Es ist der bislang stärkste Dauermagnet der Welt, gelagert fernab vom CHN-Gebäude und etwaigen störenden Trams, fähig, tiefere Blicke in die Materie zu gewähren als je ein NMR-Magnet zuvor und so gross, dass es 2020 einen Kran sowie viele helfende Hände und Stunden Zeit brauchte, um ihn zu transportieren …doch das ist eine andere Geschichte.

Neugierig auf mehr?

Hören Sie rein in unsere NMR-Podcast Episode

Prof. Beat Meier und Prof. Matthias Ernst - beide vom LPC am D-CHAB - haben die Entwicklung der NMR hautnah miterlebt, unter anderem als Doktoranden von Nobelpreisträger Richard Ernst. Beide forschen bis heute an der ETH auf diesem Gebiet und nutzen die Methode. Ein spannendes Gespräch für alle, die mehr über die NMR-Methode, ihre Geschichte und Einsatzgebiete erfahren wollen. 

Besuchen Sie die Ausstellung zu NMR und Richard Ernst

Eine kleine aber feine Ausstellung über NMR und Richard Ernst im Infozentrum Chemie | Biologie | Pharmazie bietet eine interessante Auswahl an Exponaten, Dokumenten und Büchern. Die Öffnungszeiten entsprechen den Öffnungszeiten des Infozentrums, der Eintritt ist frei.  

Kennen Sie die Landkarte der Chemical Landmarks von SCNAT?

Das Programm "Chemie-Denkmäler" möchte das wissenschaftliche und technologische Erbe der Chemie durch die Auszeichnung von historisch relevanten Stätten identifizieren und manifestieren. Gerade die Schweiz verdankt der Chemie mit ihren Entdeckungen und Erfolgen in der Forschung und der daraus entstandenen chemischen Industrie einen grossen Teil ihres Reichtums. Ziel des Programms ist es, die historischen Stätten zu würdigen und das Interesse der Öffentlichkeit an den chemischen Wissenschaften zu wecken und zu fördern. Jährlich wird eine historische Stätte ausgewählt und im Rahmen eines offiziellen Festaktes ausgezeichnet.

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