«Eine kleine Eule mit grosser Bedeutung»

Seine 27 Jahre in der Pharmaindustrie haben Dr. Ulrich Thibaut in mancher Hinsicht gut auf die Lehre vorbereitet. Trotzdem bleibt die Lehre für ihn bis heute eine Herausforderung, der es ständig neu zu begegnen gilt. Dass der Apotheker und pharmazeutische Chemiker dabei auf dem richtigen Weg ist, hat ihm der Verband der Studierenden der ETH Zürich (VSETH) nun mit der Goldenen Eule bestätigt. Ein offenes Gespräch über persönliche Stärken und Schwächen, Scheitern und Gelingen.

von Julia Ecker
Portrait Ulrich Thibaut

Als junger Pharmazeut hatte Ulrich Thibaut grosse Vorbilder: Einer seiner Verwandten hatte das bekannte Mittel Buscopan erfunden. Er selbst war beteiligt, als das Magenmedikament Pantoprazol bei Byk Gulden (später ALTANA Pharma AG, heute: Takeda) seinen Siegeszug antrat und leitete mit 40 Jahren bereits erfolgreich 500 Mitarbeiter in einem Unternehmen mit 2 Milliarden Umsatz. In unterschiedlichen Führungsrollen musste er ganze Abteilungen aufbauen, restrukturieren, Konkurrenzkämpfen beikommen und mit gezielten Massnahmen das Vertrauen zwischen weltweit verstreuten Firmenstandorten festigen, bevor er 2017 an die ETH Zürich kam. Was das mit Lehre zu tun hat? Im Falle von Ulrich Thibaut eine ganze Menge, wie sich im Gespräch zeigt.

So jung 500 Mitarbeiter zu führen war sicher nicht leicht. Was war Ihr Rezept?

Es ist nur durch gute Zusammenarbeit gelungen und dadurch, dass ich mir schon damals meiner Stärken und Schwächen bewusst war. Meine Stärke ist es, gute Teams zu bauen, gut zu kommunizieren und zu erklären, warum bestimmte Projekte weitergehen und andere nicht. In puncto strukturiertes, mathematisch-analytisches Denken sind andere besser. Ich konnte mein Team selbst wählen und habe es entsprechend mit Leuten besetzt, die meine Schwächen durch ihre Stärken ergänzen konnten. Das war eine grosse Chance und Glück.

An der ETH haben Sie den Kurs «Drug Discovery and Development» aufgebaut. Wie haben Sie die Anfänge in Erinnerung?

Der Kontakt zur ETH entstand durch Prof. Gerd Folkers. Er hat meine wissenschaftliche Arbeit während der Promotionszeit an der Universität Tübingen betreut. Als ich bei Octapharma AG aufgehört hab, habe ich einen Lehrauftrag an der ETH erhalten und dort zusammen mit Professor Jonathan Hall einen Blockkurs aufgebaut, um Studierenden Einblicke in die Pharmabranche zu ermöglichen. Sie sollten erfahren, was im Falle einer Karriere auf sie zukommt, wie Prozesse ablaufen, Entscheidungen getroffen werden etc. Bei den Masterstudierenden sind die Kurse gut angekommen. Dann wurde ich mit einer zweiten Vorlesung zum Thema «Kommunikation und Soziale Kompetenz als Erfolgsfaktoren für Karriereschritte» beauftragt.

Wie kann man sich Ihre Vorlesung zur Kommunikation vorstellen?

Wir haben Rollenspiele gemacht und uns über persönliche Werte unterhalten, also darüber, was in einem Leben wichtig ist, damit man die richtige Wahl trifft und später Spass hat im Beruf. Da hatte ich schon während der Vorlesung das Gefühl, dass es gut läuft. Sie hat sehr grossen Anklang gefunden bei den Studierenden. Die haben sich richtig reingekniet, toll mitgemacht. Es war ein schönes Wechselspiel, buchstäblich, und die positive Rückmeldung der Studierenden hat wohl zur Goldenen Eule geführt.

Welche Rolle spielt Ihre Firmen- und Kommunikationserfahrung bei der Lehre?

Als Vorstand in grossen Unternehmen muss man grosse Audienzen adressieren, meist in internationalen Meetings. In so einer Position, entwickelt man eine gewisse Routine, wie man in grossen Settings die Leute mit den richtigen Worten motiviert, vielleicht auch mal Probleme anspricht, die es ja überall gibt und die man eben lösen muss. Vielleicht bringe ich eine gewisse Fähigkeit mit, Menschen so anzusprechen, dass sie sich respektiert fühlen und das Gefühl haben, einen wichtigen Beitrag zu leisten. Nur so funktioniert ein Unternehmen, das ist Teil des Erfolgs.

Ulrich Thibaut giving a talk

Stichwort Erfolg: Was ist Ihr Rezept für gute Lehre?

Nahbar zu sein, nicht die Leute zu berieseln. Man muss um Rückmeldungen bitten, Gespräche führen mit den Studierenden, auch während der Vorlesung auf den einen oder anderen zugehen, dessen Meinung herauslocken – und das Ganze so interaktiv gestalten, dass niemand durch das Gesäusel vorne wegdriftet. Zudem muss man sich Mühe geben, die Fakten sauber zu recherchieren, denn der Anspruch an der ETH ist hoch. Man muss belegen, was man erzählt, nachvollziehbare Beispiele bringen, die Studierenden in das Unterrichtsgeschehen einbeziehen. Wenn die Leute zuhören und man merkt, die Aufmerksamkeit ist da, hat man, glaube ich, gute Arbeit gemacht.

Hatten Sie denn in der Kommunikation oder in der Lehre auch schon Misserfolge?

Ja, die gab es. Als ich zum Beispiel frischgebackener Vorstand war, musste ich in einer Aktionärsversammlung den Rückzug eines Zulassungsantrags verkünden, und war nicht hinreichend vorbereitet. Ich habe herumgeeiert vor etwa 500 Investoren und Bankenvertretern in Frankfurt an der Börse. Ich war vielleicht eine Woche Vorstand, wusste einfach noch nicht genug, wie man mit solchen Situationen umgeht und hatte auch nicht genügend Faktenwissen. Als Konsequenz war der Börsenkurs dann um die 12 Prozent abgerauscht. Das kam bei den Kollegen im Vorstand natürlich nicht gut an.

Die Lehre daraus war also: gute Vorbereitung ist massgeblich. Ich nehme an, das gilt auch für die Vorlesung?

Ja. Man sollte mit einem sehr soliden Fundament an Wissen in die Vorlesung gehen, weil auch Fragen kommen und die sollte man mehrheitlich beantworten können, sonst macht das keinen guten Eindruck. Also hinsetzen und die eigenen Folien nochmal anschauen. Auch überlegen: Gibt es Beispiele, die man einflechten muss – und das Ganze immer wieder neu überarbeiten und aktuell halten.

Welchen Herausforderungen begegnen Sie in der Lehre noch an der ETH Zürich?

Zum Beispiel dem Thema Redundanz. Die Vorlesungen überlappen sich teilweise inhaltlich und das kommt bei den Studierenden nicht gut an. Wir haben das Problem an der ETH, dass wir unterschiedliche Ausbildungsstände im Master haben. Die Bachelors von der ETH wissen oft schon ungeheuer viel. Dann kommen aber auch Studierende aus anderen Universitäten oder Ländern, die wir ebenfalls abholen müssen. Zwangsläufig muss man Wiederholungen in Kauf nehmen. Die gute Balance zu finden ist sicher eine Kunst, dazu muss man eben die Kommunikation mit den Studierenden aufrechterhalten.

Also gute Vorbereitung und Kommunikation. Was wären weitere Tipps?

Man sollte aktuelle Themen wählen, die den jungen Menschen nutzen, lebensnahe Beispiele bringen aus der Realität und der eigenen Berufserfahrung. Zusätzlich ist Theorie wichtig, aber auch Softskills der Kommunikation. Es ist wichtig zu vermitteln, dass es verschiedene Ebenen der Kommunikation und Wahrnehmung gibt. Ich glaube, jeder Lehrende sollte im Kopf haben, dass die Studierenden da sind, weil sie erfolgreich im Beruf sein wollen. Ich glaube, wir müssen unsere Lebenserfahrung vermitteln, das, was wir an Erfolgsfaktoren erkannt haben und diese offenlegen. Aber auch offen über Misserfolge sprechen. Zudem: authentisch sein. Das hat mir viel geholfen. Die jungen Leute merken, ob da jemand vorne steht, der in sich schlüssig ist oder ob er oder sie sich verstellt. Authentizität fördert das Vertrauen. Das ist ein wichtiges Gut, man muss es pflegen.

Die Studierenden haben Ihnen ihr Vertrauen bewiesen, indem sie Ihnen die Goldene Eule überreicht haben. Was bedeutet die Auszeichnung für Sie?

Sie ist etwas ganz Grosses für mich. Bereits in der Industrie war einer der schönsten Tage meines Lebens als wir einen wichtigen Rechtsstreit gewonnen hatten und hinterher der Hauptgeschäftsführer zu uns in die Labors kam, um uns seine Wertschätzung zu vermitteln. Ich vergleiche die Goldene Eule mit diesem Tag, weil es etwas ganz Besonderes ist, wenn man Wertschätzung erfährt für etwas, wo man sich intensiv bemüht hat – in diesem Fall, junge Leute auszubilden.

Portrait Ulrich Thibaut
«Wenn Studierende sagen, dass es gut präsentiert war und dass sie was Wertvolles lernen konnten, dann finde ich das eine wunderschöne, auch sehr rührende Rückmeldung, die mich ungeheuer gefreut hat. Ja, die Goldene Eule ist was ganz Grosses in meinem Leben, absolut, auch wenn es eine kleine Eule ist.»
Portrait Ulrich Thibaut
Ulrich Thibaut
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Persönliche Dankesworte von Ulrich Thibaut

Dr. Ulrich Thibaut ist auch Absolvent des Senior Executive Program der Columbia University. Über 27 Jahre lang war er in der Pharmabranche tätig, darunter Vorstand für Forschung und Entwicklung bei ALTANA Pharma AG, Drägerwerk AG & Co. KGaA, Octapharma AG und Beirat bei Glycotope GmbH. 2017 wurde er Lehrbeauftragter an der ETH Zürich und gründete parallel ein kleines Startup. Er berät heute noch Firmen in der Biotechnologischen Industrie.  

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