Dem (viralen) Einbrecher auf den Fersen

Viren sind die elegantesten Einbrecher der Welt und entern ihr Zielobjekt sogar mit dessen Einwilligung. Doch jedes Virus arbeitet anders. Wo ist der gemeinsame Nenner und welche zellulären Andockstellen sind für künftige Therapien geeignet? Yohei Yamauchi, neuer Professor für Molekulare Medizin am Institut für pharmazeutische Wissenschaften, will mit Hilfe von Zellbiologie, Virologie und Biochemie Antworten finden und ist den Influenza- und Coronaviren auf den Fersen.

von Julia Ecker

Stellen Sie sich vor, Sie verfolgen einen Einbruch aus der Vogelperspektive. Sie können erkennen, wie der Einbrecher im Haus verschwindet, aber wie genau er in das Haus eingebrochen ist, lässt sich nur schwer nachvollziehen. So ähnlich geht es Virolog:innen, die Viren beim Eindringen in die Zelle beobachten. „Das Virus, unser Einbrecher in der Geschichte, kennt die Zelle genau, jede Ecke, alle Tricks – Dinge, die wir noch nicht alle kennen“, erklärt Yohei Yamauchi, neuer Professor für Molekulare Medizin am IPW und einer, der gern in Bildern denkt. „In unserer Forschungsgruppe finden wir heraus, wie Viren auf molekularer Ebene in die Zellen gelangen. Indem wir das Verhalten von Viren untersuchen, können wir nicht nur mehr über sie und ihre Eintrittsstrategien erfahren, sondern auch Neues über die Wirtszelle.“

Das klingt einfacher als es ist. Beim Eintritt löst jede Virusfamilie unterschiedliche komplexe molekulare Interaktionen innerhalb der Zelle aus und reagiert darauf. „Darin liegt, abgesehen von der schieren Winzigkeit des Partikels, die grosse Herausforderung“, erklärt Yamauchi. „Nach meiner Doktoratzeit musste ich meine Forschung von Herpesviren auf Influenzaviren verlagern und habe zwei Jahre gebraucht, um mich daran zu gewöhnen. Ihre „Einbruchsstrategie“ ist ganz anders. Daher würde es mich nicht überraschen, wenn ein Herpes-Virologe und ein Influenza-Virologe Schwierigkeiten hätten, sich zu verstehen! Ein Wechsel des Forschungsvirus ist so, als würde man in ein anderes Land ziehen und sich eine neue Kultur aneignen. Der gemeinsame Nenner ist aber, dass alle Viren wissen, wie sie in ihre Wirtszelle eindringen und sie wieder verlassen können."

Yohei Yamauchi mit seinen Postdocs in Bristol
Yohei Yamauchi mit seinen Postdocs in Bristol (Foto: Yohei Yamauchi). 

Influenza als Kulturschocker

Yamauchi wuchs in Japan, USA und Grossbritannien auf, und studierte - wieder zurück in Japan - Medizin an der Nagoya Universität. Mit fremden Kulturen kennt er sich aus und hat da sogar etwas mit Viren gemeinsam, wie er lachend bemerkt: „Viren müssen sich ständig an ihre Umgebung anpassen – das war auch in meinem Leben immer wichtig.“ Obwohl er wusste, dass er Wissenschaftler werden würde (er hatte bereits als Student Erstautorenbeiträge in internationalen Fachzeitschriften veröffentlicht), arbeitete er fünf Jahre lang als Arzt in Nagoya, um sein Wissen über Krankheiten zu vertiefen. Als Doktorand untersuchte Yamauchi dann die Eintrittsstrategien des Herpes-Simplex-Virus: "Dies führte dazu, dass ich mich als Postdoc bei Ari Helenius an der ETH Zürich bewarb, der für seine Arbeiten zum Zelleintritt von Influenza und anderen Viren bekannt war."

Influenzaviren haben grosse medizinische Bedeutung. Sie mutieren ständig, was eine kontinuierliche Anpassung der Impfung und Therapien erfordert. Biologisch gesehen ist Influenza ein behüllter Virus mit einem einzelsträngigen RNA-Genom, welches auf acht Ribonukleoproteine (vRNPs) aufgeteilt ist. Die vRNPs wiederum sind durch eine proteinhaltige Struktur (Kapsid) geschützt. "Die entscheidende virale Aktion findet beim Eintritt in die Zelle statt, wonach sich das Virus repliziert und Tausende von infektiösen Partikeln aus der Zelle freisetzt", erklärt Yamauchi. Während des Eintritts muss das Virus das Kapsid abbauen und sein genetisches Material in die Zelle entlassen.

Bild eines Viruseintritts in die Wirtszelle
«Dieses Entern der Wirtszelle ist eine meisterhafte Aktion – etwa so unglaublich wie ein Hund im Auto, der weiss, wie man den Ticketknopf im Parkhaus drückt und zufällig auch noch ein guter Fahrer ist. Viren schaffen es an das Ticket für die Zelle zu kommen. Das ist faszinierend.»
Bild eines Viruseintritts in die Wirtszelle
Yohei Yamauchi; Bild: Modell des Wirtsproteins Transportin-1 (grün), gebunden an das Matrixprotein des Influenza-A-Virus

Die Virusforschung von Yamauchi wurde schon früher und wird bis heute durch die Unterstützung interdisziplinärer nationaler und internationaler Kooperationen vorangetrieben. Als Postdoc fand er z.B. gemeinsam mit Kolleg:innen und Kooperationspartnern heraus, dass das Influenzavirus das Abfallentsorgungssystem der Wirtszelle nutzt, um sein Kapsid abzubauen (Banerjee et al. 2014). Ein Protein namens Ubiquitin auf dem Kapsid veranlasst die Zelle dazu, das Kapsid als "Abfall" einzustufen und den Abbau über einen Weg einzuleiten, der vom zelleigenen Protein HDAC6 und Motilitätsfaktoren abhängt. Dieser Prozess fördere den Bruch des Kapsids, die Freisetzung des viralen Genoms und die Infektion, sagt Yamauchi, „wir glauben daher, dass HDAC6 ein Ziel für die Entwicklung von Medikamenten sein könnte.“

Wettlauf in der Pandemie

Als Yamauchi ausserordentlicher Professor für Viruszellbiologie an der Universität von Bristol war, arbeitete er mit seinem Team auch an SARS-CoV-2. "Es war die intensivste wissenschaftliche Erfahrung meines Lebens", erinnert sich Yamauchi und gibt lächelnd zu: "Wir hatten Glück, dass wir arbeiten konnten, aber ich hoffe, dass sich solche Zeiten nie wiederholen."

Ein Modell, das die Bindung des Spike-Proteins (rot) von SARS-CoV-2 an ACE2 (grün) und Neuropilin-1 (hellblau) auf der Wirtszelloberfläche zeigt (Visualisierung: Yamauchi et al.)
Modell, das die Bindung des Spike-Proteins (rot) von SARS-CoV-2 an ACE2 (grün) und Neuropilin-1 (hellblau) auf der Wirtszelloberfläche zeigt (Visualisierung: Yamauchi et al.)

Damals im September 2019 erhielt Yamauchi einen ERC Synergy Grant, um zusammen mit seinen Kooperationspartne:innen Ubiquitin-Ketten bei viralen Infektionen zu untersuchen. Der ERC ermöglichte die Umwidmung der Mittel in die COVID-19-Forschung. Im Jahr 2020 entdeckten Yamauchi und sein Team ein zweites Rezeptorprotein, Neuropilin-1, kurz NRP1 (bis dahin war ACE2 der einzige bekannte Rezeptor). Es fördert das Eindringen sowie die Ausbreitung von SARS-CoV-2-Zellen in Gewebekulturen und spielt möglicherweise eine Rolle bei Neuroinfektionen. "Glykoproteine auf der Oberfläche von Viren interagieren mit Rezeptoren auf Wirtszellen. Ich wusste, dass Glykoproteine mit einer Furin-Protease-Spaltstelle das NRP1 für den Eintritt in die Wirtszelle nutzen könnten."

2020 wurde schliesslich die genetische Sequenz des Spike-Proteins veröffentlicht – ein Protein auf der Oberfläche des Coronavirus. „Wir stellten fest, dass es eine Furin-Spaltungssequenz gibt", erinnert sich Yamauchi. "Zusammen mit unseren Kooperationspartner:innen haben wir rund um die Uhr gearbeitet. Wir konnten am Ende bestätigen, dass NRP1 einen Komplex mit dem Spike bildet und den Eintritt des Virus fördert, aber wir waren auch besorgt über die Konkurrenz, weil COVID-19 so intensiv erforscht wurde.“ Als die Studie schliesslich in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht wurde, würdigte die EU die Arbeit, indem sie sie unter Hunderten von laufenden EU-finanzierten Projekten als "Projekt des Monats" auswählte.

Portrait Yohei Yamauchi
«Ich glaube, die Pandemie hat uns eines gezeigt: Wenn Leben gefährdet sind, können Menschen auf effizienteste Weise zusammenarbeiten, um ein Ziel zu erreichen.»
Portrait Yohei Yamauchi
Yohei Yamauchi (das Bild wurde von seiner Doktorandin Jiaxuan Fan gezeichnet)

Mit Bildern Faszination wecken

Seinen Erfahrungsschatz möchte Yamauchi nun auch an der ETH einbringen. Eben hat er seine Labore eingerichtet, sein Team wächst. Gemeinsam mit seinen Mitarbeiter:innen und Kooperationspartner:innen – manche ebenfalls in der Schweiz und ein Grund, weshalb Yamauchi an die ETH zurückkehren wollte – wird er nun weiteren virologischen Geheimnissen auf den Grund gehen. Dieses Wissen möchte er nutzen, um z.B. künstliche Proteinkäfige zu entwerfen, die genutzt werden können, um Fracht in die Zellen zu transportieren: "Unser Ziel ist es, neue antivirale Strategien zu entwickeln, die künftig zu Therapien beitragen können.“

Darüber hinaus freut er sich auf die Lehre und darauf, sein Fachgebiet einer breiteren Öffentlichkeit näher zu bringen: „Ich war ein begeisterter Fussballspieler und Stürmer in einer Zürcher Liga. Die Faszination des Spiels wirkt ansteckend und verbindet, egal ob du Profi oder Laie bist“, veranschaulicht Yamauchi. „In der Wissenschaft ist es ähnlich, nur kniffliger. Die meisten haben z.B. noch nie ein Virus gesehen. Deshalb versuche ich, unsere Forschung mit Filmen oder Bildern zu veranschaulichen, damit die Menschen begreifen, dass Viren winzige Partikel mit einer eleganten Maschinerie sind. Wir können von Viren viel über die Biologie der Wirtszelle lernen. Sie sind eben meisterhafte 'Einbrecher', die hinter den Kulissen agieren."

Mitglieder der Yamauchi's Group, D-CHAB ETH Zürich (Foto: Yohei Yamauchi)
Mitglieder der Yamauchi's Group, D-CHAB ETH Zürich (Foto: Yohei Yamauchi)

Einführungsvorlesung

Die Einführungsvorlesung von Prof. Yohei Yamauchi wird am 25. Oktober 2023 stattfinden. Details werden noch bekannt gegeben. 

Weitere Information

externe SeiteYamauchi Laboratory

Banerjee et al. (2014): Influenza A virus uses the aggresome processing machinery for host cell entry Science, 346 (6208). externe SeiteDOI: 10.1126/science.1257037

Daly et al. 2020: Neuropilin-1 is a host factor for SARS-CoV-2 infection. Science, 370 (6518). externe SeiteDOI: 10.1126/science.abd3072

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