35 Jahre meisterhafte Lehre

Dr. Erich Meister ist seit 40 Jahren an der ETH Zürich. 35 davon hat er als Organisationsleiter das PC-Praktikum erfolgreich weiterentwickelt und viel Energie in die Lehre gesteckt – betraf sie nun Studierende oder Kinder beim Tag der offenen Tür. Nun geht er in Pension und übergibt an Dr. Takuya Segawa. Im Interview mit Nonô Saramago (Redaktion Exsikkator) erzählt er von seiner Zeit an der ETH, von Chancen, Programmiersprachen, Kalligrafie und dem Paradies. Wir sagen danke mit einem Video.

von Nonô Saramago, Léona Dorries, Samira Neff (Adaptierung: J. Ecker)

Dies ist eine gekürzte Fassung des Interviews. Die ungekürzte Fassung erschien erstmals unter dem Titel «Dr. Erich Meister im Gespräch» im Exsikkator vom Juli 2023 (Ausgabe zum Thema «Toleranz»), dem Magazin der Vereinigung der Chemiestudierenden (VCS). Vielen Dank an das Redaktionsteam, welches uns den Text zur Verfügung gestellt hat.

Sie sind seit 40 Jahren an der ETH angestellt. Wieso sind Sie so lange geblieben?

Das hat sich so ergeben. Ich war noch im letzten Jahr meiner Doktorarbeit, als ich vom Institut das Jobangebot bekommen habe, die PC-Praktika zu übernehmen. Das war natürlich eine einmalige Chance, und ich habe es nie bereut, zugesagt zu haben. 1991 wollte ich einen Forschungsaufenthalt in Moskau machen. Ich hatte auch schon alles, inklusive Visum, aber dann hat es nicht geklappt und ich habe es nicht mehr versucht.

Erich Meister als Doktorand (links) zusammen mit Jerzy Sepiol 1984
Erich Meister als Doktorand (links) zusammen mit Jerzy Sepiol 1984 (Foto: Erich Meister).

Was war Ihr bestes Erlebnis hier an der ETH?

Dass ich das meiste realisieren konnte, was ich mir vorgenommen habe. Das Institut bot mir grosse Freiheiten, und ich konnte auch neue, unvorhergesehene Aufgaben übernehmen. Als grossen Pluspunkt an der ETH erachte ich, dass es keinen Lehrplan für die Lehrveranstaltungen gibt. Es ist erstaunlich, dass das gut funktioniert und die Dozenten nicht einfach denken: «Ich mache ein Minimum, weil ich ja keine Vorschriften habe». Ich glaube nicht, dass Sie so etwas im Studium hier erleben. Das ist ein gutes Zeichen und da tragen sicher die Studierenden bei.

Wie war das als Sie das Praktikum übernommen haben?

Als ich noch Doktorand war, gab es jeweils einen Postdoktoranden oder Doktoranden, der das PC-Praktikum zu organisieren hatte. Weil diese wenig Zeit hatten, kümmerten sie sich nur um die Organisation, nicht um Inhaltliches. Es war ein grosser Aufwand, aber das Resultat war nicht gut. Die Studierenden klagten über die Assistenten, die Assistenten reklamierten, weil ihnen die nötigen Instruktionen fehlten, die Techniker reklamierten wegen der mangelhaften Gerätepflege. So beschloss die Institutsleitung, dass jemand vollamtlich für das Praktikum zuständig sein müsse – ein grosser Entscheid, weil sowas viel Geld kostet. Mein Doktorvater kam zu mir ins Labor und fragte mich, ob ich an einer Lebensstelle interessiert wäre. Ich war wohl im richtigen Moment die richtige Person.

Erich Meister bei seinem Abschieds-Apéro mit Bildern seiner Familie im Hintergrund
Erich Meister beim Abschieds-Apéro (Foto: J. Ecker, ETHZ)

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort …

Ja. Mir hat der Mix aus Chemie und Physik gefallen. Ausserdem wurde ich schon Anfang fünftes Semester Vater, und ein paar Jahre später kam das zweite Kind hinzu. So war es nicht schlecht, eine Lebensstelle zu bekommen. Meine Frau war auch nicht unglücklich, dass es nicht plötzlich hiess, «wir machen jetzt einen Postdoc-Aufenthalt in den USA», oder so. Es hat einfach gepasst.

Sie haben über fehlende Instruktionen gesprochen. Haben Sie deshalb ein Praktikumsbuch geschrieben?

Als ich das Praktikum übernommen habe, war vieles noch mit Schreibmaschine geschrieben und alles musste fotokopiert werden. Ich musste alle Skripte zusammenstellen und in die Druckerei ins HG bringen. Am Schluss hatte ich einen Veloanhänger voller Papier und musste diesen vom HG ins CHN zurückstossen. Es war also ein grosser, immer wiederkehrender Aufwand. Als Novum wollte ich ein Praktikumsbuch, das möglichst vollständig mit Messergebnissen von unseren Studierenden oder von mir illustriert ist. So hatte man weniger Papier und für ein paar Jahre Ruhe vor der nächsten Auflage.

Erich Meister mit dem Abschiedsgeschenbk des VCS - ein grosses R wie das Logo der R-Programmiersprache  (Foto: VCS, D-CHAB)
Meister mit dem Abschiedsgeschenbk des VCS (Foto: VCS)

Sie sind bei den Studierenden bekannt als der, der allen R beibringt. Sie waren schon hier, bevor R und PCs überhaupt existierten. Wieso R?

Als Studenten kamen wir zum ersten Mal im PC-Praktikum mit Computern in Kontakt. Die Programme waren noch auf Lochstreifen gespeichert. Anfang der 80er Jahre sind die ersten IBM-PCs gekommen. Man hat viel Geld investiert, damit unser Praktikum früh computerisiert war. Da stellte sich die Frage nach der Auswertung – jeder konnte was anderes. Dann hat eine Studentin nach R gefragt. Ich habe es mir angeschaut und dachte, wow, es ist Open Source, hat interessante Datenstrukturen, ergibt perfekte graphische Darstellungen, und ist nicht so schwierig. Aber die Einführung war ein langer Prozess. Ich war permanent am Erklären. Das ist heute besser. Heute muss man als Naturwissenschaftler eine Programmiersprache können, egal welche. Programmieren ist eine Kompetenz, die immer mehr gefragt ist.

Takuya Segawa wird nun Ihre Stelle übernehmen. Wie läuft der Übergang?

Sehr gut. Ich bin überzeugt, dass Takuya dieses Praktikum sehr gut machen wird. Er hat den grossen Vorteil, dass er einen breiten Background hat. Letztes Jahr konnte er in Ruhe verschiedene Experimente ausprobieren. Es gibt vieles, was schon vorbereitet ist. Hier muss ich unserem Institut danken, das ein Jahr vorher jemanden angestellt und bezahlt hat, um parallel zu mir diese Arbeit zu machen. Dies ist nicht selbstverständlich.

Haben Sie schon Pläne, was Sie nach der Pensionierung tun wollen?

Ja, natürlich. Ich will wieder mehr in der Kalligrafie arbeiten und werde wieder mehr Kurse besuchen, auch international. Sonst mache ich keine grossen Pläne, es kommt sowieso immer anders. Es hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass man flexibel sein muss.

Verschiedene Kalligraphie-Arbeiten von Erich Meister (Zusammenstellung).
Verschiedene Kalligraphie-Arbeiten von Erich Meister (Zusammenstellung). 

Können Sie ein bisschen mehr über Ihre Leidenschaft, die Kalligrafie, erzählen?

Ich habe mir schon immer gerne alte Bücher, Schriften und Handschriften angesehen. Irgendwann hat mir meine Frau einen Kalligrafie-Kurs geschenkt. In der letzten Stunde kam eine professionelle Kalligrafin zu Besuch. Sie hat englische Schreibschrift geschrieben, die lebt von sehr feinen Linien und breiten schwungvollen Schwellzügen. Als sie schrieb, hat es gekratzt und gespritzt, was sehr dekorative Effekte ergab. Es war toll zuzuschauen. Noch heute besuche ich Kurse bei ihr. Ich habe auch Kurse bei anderen Kalligrafen besucht, einige sind heute weltberühmt. Ich möchte ein Hobby pflegen, das mich fordert, ohne grossen CO2-Fussabdruck, und ich will etwas mit den Händen machen. Ich will die Schrift selber schreiben und weiterentwickeln können.

«Kalligraphie ist optisch schön. Dürer hat einmal geschrieben: «Wir sehen gerne schöne Dinge, dann gibt es uns Freude». Aber man muss üben und macht Fehler. Das hat mit Selbstkritik zu tun, und zum Glück haben mich einige Kalligrafen sehr stark kritisiert. So lernt man unglaublich viel.»
Dr. Erich Meister (Bild: Schriftstück von Erich Meister)

Heute mache ich gelegentlich Auftragsarbeiten, aber meistens Karten für Geburtstage oder Weihnachten oder so. Das macht mir Freude. Keine grosse Kunst, sondern etwas, was individuell ist, ein Einzelexemplar. Und ich bekomme die auch sehr gerne von anderen Kalligrafen.

Woran denken Sie, wenn Sie jetzt weggehen?

Es war eine gute Zeit, aber ich spüre jetzt auch, es ist gut so. Umso mehr, weil ich einen Nachfolger habe. Erfreulich ist zudem, dass wir seit ein paar Jahren einen sehr guten Elektroniker haben für das Praktikum, Tiago, und wir haben eine hervorragende Werkstatt. Das funktioniert alles ohne viel Bürokratie. Selbst Leute, die an berühmten Orten im Ausland gearbeitet haben, sagen, wir hätten hier das Paradies.

Haben Sie zum Schluss einen Tipp für junge Leute in der Akademie?

Man soll mit Freude tun, was einen interessiert, und nicht zu früh denken, dass man dieses und jenes nicht brauchen wird. Man muss offen bleiben für das, was kommt. Es kommt im Leben oft völlig anders. Als ich angefangen habe zu studieren, hatte ich keine Ahnung, in welche Richtung ich gehen werde. Dann passiert etwas und plötzlich ist alles anders. Wahrscheinlich würden die meisten Doktoranden sagen, dass es ein Zufall war, dass sie hier sind. Sie haben einfach die Chancen des Lebens genutzt. Aber ich rate davon ab, immer an Karriere zu denken. Das kommt automatisch, wenn man sich engagiert.

Junge Chemiker:innen lernen mit Erich Meister im Labor mehr über Batterien
Junge Chemiker:innen lernen mit Erich Meister im Labor mehr über Batterien (Foto: J. Ecker, ETHZ).  

3 min. über 35 Jahre - Freunde und Kollegen erzählen

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Ein Gespräch mit Takuya Segawa, Urs Hollenstein, Mercede Azizbaig Mohajer und Tiago Ferreira das Neves (Video: Julia Ecker, ETHZ)

Erich Meister studierte Chemie an der ETH Zürich und promovierte 1988 in der Gruppe von Prof. U.P. Wild. Für seine Arbeit erhielt er die ETH-Medaille. Von 1988 bis 2024 leitete Erich Meister die physikalisch-chemischen Praktika am Laboratorium für Physikalische Chemie des D-CHAB. Zudem hielt er die Vorlesungen «Chemie für Physiker» sowie «Chemie für rechnergestützte Wissenschaften». 2008 wurde er mit der Goldenen Eule für exzellente Lehre geehrt. Sein Talent fürs Unterrichten stellte Erich Meister auch bei zahlreichen Laborworkshops für die Öffentlichkeit unter Beweis, an denen er stets mit grosser Begeisterung mitwirkte. Erich Meister ist verheiratet, hat zwei Töchter und drei Enkel.

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